Das Vorstellungsgespräch – die mündliche Prüfung – die Praxisbegleitung durch die berufsbildungsbeauftragte Fachperson und schon fängt es an: Das Kribbeln im Bauch, dezent immer feuchter werdende Hände, das stärker werdende Klopfen in der Herz- und Halsregion und die innere Unruhe mit sich im Kreis drehende Gedanken – «kann ich das?» – «schaff ich das?» – «bin ich gut genug» – «aufgeben?»
Angst ist eine normale Reaktion auf Gefahr – warum wird allerdings eine Prüfung als Gefahrensituation gesehen?
Grundsätzlich hat der Mensch eine wahrhaft grenzenlose Vorstellungskraft. Dies bedeutet, dass Situationen grundsätzlich nicht so erlebt werden, wie und was sie sind, sondern immer durch Gedanken und Kognitionen belegt sind. Also nicht die Situation an sich löst Angst aus, sondern die Gedanken, die wir uns darüber machen. So hat starke Prüfungsangst ein Gemisch aus zwei Dimensionen an sich: die reale Angst und neurotische Anteile.
Die reale Angst ist meist begründet in Prüfungsanforderungen, welche schwer erfüllbar, wenig transparent und/oder ungenau oder widersprüchlich in ihren Aussagen sind. Weiter ist hier auch die Unberechenbarkeit des Prüfers:in, eine unzureichende Vorbereitung, Zeitknappheit bei der Prüfung selbst oder in den Konsequenzen bei Misserfolg die Angstvorstellung begründet.
Während bei den neurotischen Anteilen der Angst der Zusammenhang mit bereits früher entstandenen Ängsten, Selbstwertminderung und Selbstbewusstseinsproblemen und unbewältigten (unbewusst verdrängten) Konflikten, welche vor oder während einer Prüfungssituation hervortreten können, besteht.
Im Unterbewusstsein sind oft Angst auslösende kognitiv Vorgänge versteckt, welche oftmals psychischen Konstellationen von Wunsch und Abwehr, also den typischen phasenspezifischen frühkindlichen Konfliktsituationen zugeordnet werden können. Hier liegt in Prüfungssituationen eine regressive Gefahreneinschätzung zugrunde, die mehr als das üblicherweise zu erwartende Ausmass an Angst auslöst. «Ich fühle mich der/dem Prüfer:in gegenüber irgendwie wie ein Kind» oder «ich fühle mich bei der Prüfung extrem klein» sind typische Aussagen, welche einen solchen Sachverhalt beschreiben.
Wann beginnt eigentlich Prüfungsangst?
Oft beginnen Symptome der Angst schon im Vorfeld der Bekanntgabe des Prüfungstermins. Diese Symptome können das Lernen im Vorfeld massiv beeinträchtigen z. B. durch Konzentrationsstörungen begleitet von körperlichen Beschwerden wie vor allem nervöse Unruhe, innere Anspannung, Herzrasen, Schweissausbrüche, Zittern, Schlafstörungen und lähmende Müdigkeit wie auch Essstörungen und Magen-Darm-Probleme.
Auch unbewusst kann Prüfungsangst im Vorfeld auftreten, da manche Menschen ihre Angst nicht bewusst empfinden, sondern sich eher bedrückt, verunsichert oder allgemein bedroht fühlen, ohne einen Grund dafür angeben zu können.
Wie kann man Prüfungsangst frühzeitig entgegenwirken?
Wo am Besten anfangen …. und vor allem …. WIE?
Die beste Prophylaxe gegen Angstzustände sind Coping-Strategien. Im Falle einer Prüfung beginnt die Analyse und Neuentdeckung dieser Strategien schon bei Ausbildungsbeginn bzw. bei Modul- oder Semesterbeginn.
Ein kreativer Umgang mit den Themen «Lernen und Kompetenzentwicklung» ist ebenso wichtig, wie zeitgemässe und adressatengerechte Anwendung der einzelnen Lern- und Dokumentationstools, wie z. B. Lernjournale. Hier gilt vor allem das Schlagwort: «Individualismus». So unterschiedlich wie unsere Auszubildenden und Studierenden sind, so unterschiedlich sind die Lernkanäle und der Zugang zum Lernen – was für den einen gut ist, kann für den anderen lernhemmend sein.
Erinnern wir uns doch selbst an unsere eigene Lernbiographie – «Hand aufs Herz – wir waren nicht anders »
Angeknüpft an diese Tatsache stellt sich natürlich auch die Frage, ob unsere Auszubildenden und Studierenden die Möglichkeiten des Lernens und die Anwendung verschiedener Lernmethoden kennen und sie anzuwenden wissen. Wie und in welcher Form bereiten die Lernenden ihre Themengebiete auf, welche Strukturformen wenden sie an, dass sie
a) einen schnellen thematischen ÜBERBLICK haben,
b) für Prüfungen STRUKTURIERT und zielführend vorbereiten können und
c) die theoretischen Themen mit der praktischen Handlungssituation VERNETZEN können.
Kurz gesagt: «Den theoretischen Überblick strukturiert mit der Praxis vernetzen!»
Wie könnte das in der Praxis aussehen:
Eine erste Orientierung könnte die Bildungspläne der Schulen geben. Für Berufsbildner müsste hier die Frage interessant sein: «In welchen theoretischen Inhalten und Themengebieten befinden sich die Auszubildenden und Studierenden gerade, wenn sie wieder in die Praxis zurückkommen?»
Hier besteht die Chance einer WIN-WIN-Situation für die Auszubildenden, aber auch für den Ausbildungsbetrieb. Mit Themenwochen beispielsweise, können die Auszubildenden ihr Wissen vertiefen und dieses aktuell z. B. in einer Themenvernissage dem übrigen Stationspersonal zugänglich machen und dieses so «on jour» halten.
Digitale Lernjournale und online-Dokumentationsformen, wie z. B. Visualizer mit Mind- bzw. Concept-Maps können hier wichtige Unterstützungsfaktoren sein. Auch die Lernzeit kann gestaltet werden, wenn z. B. zum Einstieg in die Lernzeit ein Online-Quiz von seitens der Berufsbildner den Auszubildenden eine gezielte Standortanalyse bzgl. des bisherigen Wissens ermöglichen.
Auch Mikrovorträge bei z. B. einem dreissig minütigem Mittagsforum via gestaltetem Wissenschaftsplakat wäre möglich oder auch speziell in der Langzeitpflege, das Aufbereiten eines Themas, sodass es zu einem adressatengerechten Vortrag für die Bewohner wird (z. B. das Thema Diabetes mellitus T2).
Hier haben die Auszubildenden die Übungsplattform für Präsentationen, Klientenschulungen und die Präsentationsvorbereitung und -durchführung mit dem professionellem Feedback der Berufsbildner:innen. Auch gegen etwaiges Lampenfieber vor der Präsentation können im Vorfeld Entspannungsstrategien eingeübt werden, wie z. B. das Anspannen und bewusste Loslassen der Gesichtsmuskulatur – also Lachen.
Es gibt die Möglichkeit Prüfungsängsten entgegenzuwirken und gehört auch das anschliessende Feedback. Dieses neu zu denken erfordert von den Berufbildungsfachpersonen Mut zur Veränderung: Nicht die «Fehler» sollen im Vordergrund stehen, sondern das, was gut gelungen ist und Verbesserungspotential aufgezeigt werden. Gemäss dem Motto des XUND Bildungszentrums Gesundheit Zentralschweiz:
Autor: Engelbert Glaser
Verantwortlicher Arbeitsfeldtransfertag & Lehrperson Pflege HF,
XUND Bildungszentrum Gesundheit Zentralschweiz
engelbert.glaser@xund.ch