von Achi Brunnschweiler

Kinder erleben beim Lernen Glücksmomente. Sie erkunden neugierig die Motorik, Beziehungen, die Wirkung von Verhaltensweisen, die Sprache, die Physik, … Doch irgendwann verfliegt der unbedingte Antrieb, lernen zu wollen. Dieser Artikel befasst sich mit möglichen Gründen für die fehlende Lust am Lernen und gibt Anhaltspunkte, wie Freude neu entfacht werden kann.

Neugierde ist angeboren

Neugierde ist von Anfang an in uns Menschen drin. Unbewusst beobachten wir die Umwelt und eignen uns so neues Wissen und Können an. Wir lernen auch bewusst neue Dinge, weil sie uns interessieren. In dem wir uns Vergleichen können wir unseren Lernfortschritt überprüfen und allenfalls Verbesserungen vornehmen.

Wenn uns Mitmenschen Feedbacks geben, kann das ebenfalls positiv für den Lernprozess sein. Es gibt uns zusätzlich zu unserem eigenen Empfinden eine ergänzende Aussensicht. Ausserdem kann ein gutes Feedback neue Motivation entfachen oder aber uns vor krankem Ehrgeiz schützen. Wie kann es also sein, dass diese angeborene Neugierde und natürlich veranlagte Freude am Lernen plötzlich verschwindet?

Leistungsdruck (zer-)stört die intrinsische Motivation

Ein Kind lernt, weil es lernen möchte. Es ist motiviert, weil es einen Nutzen für sich selbst darin sieht. Spätestens mit dem Schuleintritt beginnt ein Lebensabschnitt, bei dem alles bewertet wird. Von Gestaltung, über Musikgeschmack, Gesang, Anzahl Liegestütze, bis hin zu Muttertagsgeschenken, alles wird benotet. Irgendwann verwandelt sich die Motivation, eigene Erfahrungen und Kompetenzen zu erweitern, zum dringenden Bedürfnis, bei den Prüfungen gut abzuschneiden. Wir lernen, um anderen zu genügen. Manchmal wird dieses Ziel auch erfolgreich mit Schwindeleien verfolgt.

Als ich im ÜK (überbetrieblicher Kurs) eine neue Klasse begrüsste, warf ich als erstes die Frage in den Raum, was ihre Erwartungen und Befürchtungen bezüglich dieses Kurses seien. Ich musste feststellen, dass die Ängste und Befürchtungen bei weitem überwogen. Noch schockierender empfand ich die folgende Aussage eines Lernenden: «Wir haben Angst vor neuen Themen, weil dann wieder eine Prüfung kommt, bei der wir versagen können.”

Es ist klar, dass nicht völlig auf Beurteilungen und Prüfungen verzichtet werden kann. Dies wäre auch nicht die Lösung des Problems.

Wie können wir also Lernende trotz gewissem Prüfungs- und Leistungsdruck für das Lernen begeistern?

Tipp 1: Fortschritte ermöglichen und hervorheben
Häufig ist man sich gar nicht bewusst, dass ein Lernfortschritt erreicht wurde. Suchen Sie diese aktiv und machen Sie sie deutlich:

– Beschreiben Sie Meilensteine, bei deren Erreichen ein «next Level» erreicht wird. Bei meiner Lernwerkstatt nannten wir dies zum Beispiel «Platzreife». Diese beschrieb, was ein Lernender können muss, damit er bei produktiven Projekten mitprogrammieren durfte. Der «next Level» bringt neue Verantwortung, Gestaltungsmöglichkeiten und Berechtigungen.

– Für Lernende gibt es nichts Langweiligeres und Mühsameres als die Lerndokumentationen. Das ist schade, weil sie viel Freude auslösen könnten. Machen Sie sich zusammen mit Ihren Lernenden Gedanken darüber, wie sie dieses Instrument einsetzten können. Welche Inhalte und Gestaltung lösen bei allen Beteiligten Freude aus und werden als sinnvoll betrachtet?

– Einer meiner Lernenden sagte einst: „Es gibt keinen Tag, an dem ich hier nicht etwas Neues lerne.“ Dieser Satz hat mich sehr bewegt. Besprechen Sie mit Ihren Lernenden, was sie an diesem Tag Neues gelernt haben.

Tipp 2: Bewertungen sind nicht immer notwendig
Beherrschen Sie das Verlangen, alles bewerten zu wollen und sehen Sie ab und zu über Fehler hinweg. Lernende richten sich bei Misserfolgen selbst am härtesten. Ein wohlwollendes Augenzwinkern, stärkt die Beziehung und gibt Mut, Neues zu wagen.

Tipp 3: Wozu? Wofür?
Ein Zimmermann zeigte mir die 3-4-5-Regel, mit der er auf einem Brett bei einem schrägen Abschnitt einen rechten Winkel absteckt. Er hatte keine Ahnung, dass das eine praktische Anwendung für den Satz des Pythagoras ist. Umgekehrt gibt es kaum eine Lehrperson, die ihren Schüler*innen erklären kann, wozu sie den Satz des Pythagoras lernen sollen.
Beantworten Sie die Frage nach dem «wozu» und «wofür» ungefragt.

Tipp 4: Lernerfolge feiern
Unter Tipp 1 ist beschrieben, wie Sie Lernfortschritte ermöglichen und erkennen. Genauso wichtig ist, dass Sie diese Erfolge gemeinsam feiern. Dies muss nicht immer ein rauschendes Betriebsfest sein. Ein Aussprechen, Weitererzählen und gegenseitiges auf die Schultern klopfen, ist häufig wirksam genug.

Und überhaupt…

Nach den Schuljahren sehnen sich viele Jugendliche nach «richtigem» Arbeiten und Praxiserfahrungen. Nutzen Sie diese Chance für echte Veränderungen.


Achi Brunnschweiler dipl. Coach SCA, ABS Coaching

Heute ist Achi Brunnschweiler dipl. Coach SCA und Betrieblicher Mentor FA, der Führungskräfte, Teams und Privatpersonen auf dem Weg zu beruflichen wie persönlichen Zielen begleitet. Ausserdem leitet er überbetriebliche Kurse für ICT-Berufe. Davor hat er in einem IT-Unternehmen eine Lernwerkstatt aufgebaut, in der Lernende innovative Softwareprodukte für Kunden geplant, realisiert und betreut haben. Zudem engagiert er sich ehrenamtlich in der Jugendarbeit. Mit diesem Werdegang kennt er die Herausforderungen der Jugend und der Wirtschaft aus der Praxis.